(1) Urteile sind die einzigen Typen von Gegenständen, die Inhalt unserer Erkenntnisse sein können, und die einzigen, die Thesen von Argumentationen sein können. Epistemische Rationalität ist deshalb an Urteile gebunden: Ziel der epistemischen Rationalität ist u. a., daß wir möglichst nur an Urteile mit wahren Propositionen glauben. Handlungen können an dieser Rationalität nur teilhaben, wenn es spezielle Urteile (über Handlungen) gibt, an die zu glauben, die entsprechende Handlung aus anthropologischen Gründen nach sich zieht oder rationaliter nach sich ziehen sollte. Gibt es keine solchen Urteile, dann klafft eine Lücke zwischen Urteilen und Handeln, und das Handeln ist in einem gewissen Sinne nicht rationalisierbar, Ethiken sind praktisch irrelevant. Gibt es hingegen solche Urteile, d. h. ist die Lücke zu schließen, dann besteht Handlungsrationalität u. a. gerade darin, den Glauben an Urteile dieser Art epistemisch zu rationalisieren. (2) Ein großer Teil der metaethischen Arbeiten Hares ist (wenigstens implizit) dem Versuch gewidmet, die Lücke zwischen Urteil und Handeln zu schließen. (3) Seine Konzepte von 'Präskriptivität' sind Versuche, die Lücke zwischen Urteil und Handeln innerhalb der Bedeutung präskriptiver Sätze zu schließen u. a. durch die Verbindung von Urteilen mit Imperativen. Vier dieser Konzepte werden untersucht; keines von ihnen weist einen Weg, wie die Lücke geschlossen werden kann. (4) Gemäß einer entscheidungstheoretischen empirischen Handlungstheorie schließen bestimmte Werturteile die Lücke: Der Glaube an ein spezielles Optimalitätsurteil über Handlungsalternativen ist jeweils der eigentliche Handlungsauslöser. Hares bleibender Beitrag zur Schließung der Lücke zwischen Urteil und Handeln besteht dann in wichtigen Einzelergebnissen seiner Bedeutungsanalysen von Werturteilen: Supervenience von Werturteilen, ihre Beziehung zu Wählakten, Unterschied zwischen der Bedeutung von "gut" und Gütekriterien etc. (5) Diese Ergebnisse können zu einer - handlungstheoretisch begründeten - Definition von "x ist im Maße u gut für die Person y" vervollständigt werden, einer Definition, 1. mit der erklärt werden kann, wieso entsprechende Optimalitätsurteile handlungsmotivierend wirken können, und 2. die dennoch genügend epistemische Rationalisierungsmöglichkeiten offenläßt, die also nicht das Gute mit dem für gut Gehaltenen gleichsetzt.
Lumer, C. (1995). Die Lücke zwischen Urteil und Handeln und die Bedeutung von "x ist gut für die Person y". In Zum moralischen Denken (pp. 254-281). FRANKFURT, MAIN : Suhrkamp.
Die Lücke zwischen Urteil und Handeln und die Bedeutung von "x ist gut für die Person y"
LUMER, CHRISTOPH
1995-01-01
Abstract
(1) Urteile sind die einzigen Typen von Gegenständen, die Inhalt unserer Erkenntnisse sein können, und die einzigen, die Thesen von Argumentationen sein können. Epistemische Rationalität ist deshalb an Urteile gebunden: Ziel der epistemischen Rationalität ist u. a., daß wir möglichst nur an Urteile mit wahren Propositionen glauben. Handlungen können an dieser Rationalität nur teilhaben, wenn es spezielle Urteile (über Handlungen) gibt, an die zu glauben, die entsprechende Handlung aus anthropologischen Gründen nach sich zieht oder rationaliter nach sich ziehen sollte. Gibt es keine solchen Urteile, dann klafft eine Lücke zwischen Urteilen und Handeln, und das Handeln ist in einem gewissen Sinne nicht rationalisierbar, Ethiken sind praktisch irrelevant. Gibt es hingegen solche Urteile, d. h. ist die Lücke zu schließen, dann besteht Handlungsrationalität u. a. gerade darin, den Glauben an Urteile dieser Art epistemisch zu rationalisieren. (2) Ein großer Teil der metaethischen Arbeiten Hares ist (wenigstens implizit) dem Versuch gewidmet, die Lücke zwischen Urteil und Handeln zu schließen. (3) Seine Konzepte von 'Präskriptivität' sind Versuche, die Lücke zwischen Urteil und Handeln innerhalb der Bedeutung präskriptiver Sätze zu schließen u. a. durch die Verbindung von Urteilen mit Imperativen. Vier dieser Konzepte werden untersucht; keines von ihnen weist einen Weg, wie die Lücke geschlossen werden kann. (4) Gemäß einer entscheidungstheoretischen empirischen Handlungstheorie schließen bestimmte Werturteile die Lücke: Der Glaube an ein spezielles Optimalitätsurteil über Handlungsalternativen ist jeweils der eigentliche Handlungsauslöser. Hares bleibender Beitrag zur Schließung der Lücke zwischen Urteil und Handeln besteht dann in wichtigen Einzelergebnissen seiner Bedeutungsanalysen von Werturteilen: Supervenience von Werturteilen, ihre Beziehung zu Wählakten, Unterschied zwischen der Bedeutung von "gut" und Gütekriterien etc. (5) Diese Ergebnisse können zu einer - handlungstheoretisch begründeten - Definition von "x ist im Maße u gut für die Person y" vervollständigt werden, einer Definition, 1. mit der erklärt werden kann, wieso entsprechende Optimalitätsurteile handlungsmotivierend wirken können, und 2. die dennoch genügend epistemische Rationalisierungsmöglichkeiten offenläßt, die also nicht das Gute mit dem für gut Gehaltenen gleichsetzt.I documenti in IRIS sono protetti da copyright e tutti i diritti sono riservati, salvo diversa indicazione.
https://hdl.handle.net/11365/14467
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