(1) Im Anschluß an Leibniz werden rechtliche Freiheit, Handlungsfreiheit und Entscheidungsfreiheit unterschieden. Entscheidungsfreiheit besteht, bewußt offen formuliert, darin, zu entscheiden, wie man soll, oder auf die richtige Weise zu entscheiden. (2) Darüber, wie diese richtige Weise genauer zu bestimmen ist, gibt es drei Hauptgruppen von Theorien: 1. den Voluntarismus, nach dem eine Entscheidung frei ist, wenn sie indeterminiert oder keinerlei Notwendigkeit unterworfen ist - eine Abschwächung des Voluntarismus ist der Inkompatibilismus, der dies nur für eine notwendige Bedingung der Freiheit hält -, 2. den Rationalismus, nach dem eine Entscheidung frei ist, wenn sie auf rationaler Überlegung beruht, und 3. die Autonomietheorie, nach der eine Entscheidung frei ist, wenn sie aus dem Wesen des Subjekts kommt. Inkompatibilismus und Voluntarismus werden als ab ovo unbrauchbar kritisiert: Es gibt keine positiven Gründe für diese Konzeption. (3) Für eine rationalistisch konzipierte Freiheit gibt es hingegen einen guten Grund: Sie verbessert die Chancen, daß wir das wirklich Gute tun. Problematisch am Rationalismus ist aber, daß die Konzeption des Guten nicht befriedigend ausgearbeitet ist. (4) Von den diversen Ansätzen zu einer Autonomietheorie der Entscheidungsfreiheit wird nur der erfolgversprechendste, eine psychologische, identitätstheoretische Konzeption diskutiert und vor allem als in der bisherigen Form analytisch zu oberflächlich kritisiert. (5) Die konstruktive Alternative versucht, sowohl die Einsichten des rationalistischen wie des psychologisch autonomietheoretischen Ansatzes weiterzuentwickeln. Spielräume, uns auf verschiedene Weisen zu entscheiden, werden untersucht, u.a. die unseren Entscheidungen zugrundeliegenden intrinsischen Bewertungsfunktionen. Sowohl die Rationalität als auch die Autonomie erfordern, aufklärungsstabile intrinsische Bewertungsfunktionen als Basis unserer Entscheidungen zu verwenden. Auch bei den anderen Spielräumen für alternative Entscheidungsweisen gelangen Rationalität und Autonomie zu gleichen Forderungen, so daß diese beiden Ansätze, wenn sie nur hinreichend ausgearbeitet werden, koinzidieren.

Lumer, C. (2002). Entscheidungsfreiheit. In Grenzen und Grenzüberschreitungen. XIX. Deutscher Kongreß für Philosophie, 23.-27. September 2002 in Bonn. Sektionsbeiträge (pp.197-207). Sinclair Press.

Entscheidungsfreiheit

LUMER, CHRISTOPH
2002-01-01

Abstract

(1) Im Anschluß an Leibniz werden rechtliche Freiheit, Handlungsfreiheit und Entscheidungsfreiheit unterschieden. Entscheidungsfreiheit besteht, bewußt offen formuliert, darin, zu entscheiden, wie man soll, oder auf die richtige Weise zu entscheiden. (2) Darüber, wie diese richtige Weise genauer zu bestimmen ist, gibt es drei Hauptgruppen von Theorien: 1. den Voluntarismus, nach dem eine Entscheidung frei ist, wenn sie indeterminiert oder keinerlei Notwendigkeit unterworfen ist - eine Abschwächung des Voluntarismus ist der Inkompatibilismus, der dies nur für eine notwendige Bedingung der Freiheit hält -, 2. den Rationalismus, nach dem eine Entscheidung frei ist, wenn sie auf rationaler Überlegung beruht, und 3. die Autonomietheorie, nach der eine Entscheidung frei ist, wenn sie aus dem Wesen des Subjekts kommt. Inkompatibilismus und Voluntarismus werden als ab ovo unbrauchbar kritisiert: Es gibt keine positiven Gründe für diese Konzeption. (3) Für eine rationalistisch konzipierte Freiheit gibt es hingegen einen guten Grund: Sie verbessert die Chancen, daß wir das wirklich Gute tun. Problematisch am Rationalismus ist aber, daß die Konzeption des Guten nicht befriedigend ausgearbeitet ist. (4) Von den diversen Ansätzen zu einer Autonomietheorie der Entscheidungsfreiheit wird nur der erfolgversprechendste, eine psychologische, identitätstheoretische Konzeption diskutiert und vor allem als in der bisherigen Form analytisch zu oberflächlich kritisiert. (5) Die konstruktive Alternative versucht, sowohl die Einsichten des rationalistischen wie des psychologisch autonomietheoretischen Ansatzes weiterzuentwickeln. Spielräume, uns auf verschiedene Weisen zu entscheiden, werden untersucht, u.a. die unseren Entscheidungen zugrundeliegenden intrinsischen Bewertungsfunktionen. Sowohl die Rationalität als auch die Autonomie erfordern, aufklärungsstabile intrinsische Bewertungsfunktionen als Basis unserer Entscheidungen zu verwenden. Auch bei den anderen Spielräumen für alternative Entscheidungsweisen gelangen Rationalität und Autonomie zu gleichen Forderungen, so daß diese beiden Ansätze, wenn sie nur hinreichend ausgearbeitet werden, koinzidieren.
2002
3980676226
Lumer, C. (2002). Entscheidungsfreiheit. In Grenzen und Grenzüberschreitungen. XIX. Deutscher Kongreß für Philosophie, 23.-27. September 2002 in Bonn. Sektionsbeiträge (pp.197-207). Sinclair Press.
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